Die Zwillingsflöten Paans

Paan-Thel-Mar

und

Paan-Kelta-Mar



Ich bin Rhavid, ein Skalde Baals, Wissender um die geheimen Riten und Melodien, Freund der Elfen, Träger der Laute des Suuma, Beschützer der Schriften um die Heiligen Tore.

Und ich will euch berichten von Ereignissen die sich zu einer Zeit begaben, die so weit zurück liegt, daß selbst die Vorfahren der Elfen, deren Lebensspanne zwanzig Menschengenerationen beträgt, sie nicht selbst erlebt haben. Selbst im Gedächtnis der Elfen sind diese Begebenheiten nur eine Legende, die an den Feuern sowohl in friedlichen als auch kriegerischen Nächten erzählt wird. Und die jungen Elfen lauschen voller Ehrfurcht den Worten der älteren, wenn sie erzählen von Paan-Thel-Mar, der Zauberflöte der Elfen. Wenn die See-Elfen von Thule in den südlichen Breiten des Roten Meeres segeln, blicken sie mit Wehmut gen Süden zu den östlichen Ausläufern der Marmorberge zur Miriath-Spitze, dem höchsten Punkt des Gebirgszuges, der in der jungen Zeit auch Analkar-Arusath-Giramesch, die Brennende Schwertspitze Girameschs genannt wird. Denn dort scheint die Geschichte der Paan-Thel-Mar zu enden. Und es ist eine traurige Geschichte, die die Elfen weinen läßt, aber sie dennoch mit der Hoffnung erfüllt, daß an jenem Tag, an dem das Zauberspiel Paan-Thel-Mars erneut erklingt, das elfische Licht der Schönheit entflammt wird.

Es begab sich zu einer Zeit noch vor dem Zeitalter der Grauen, lange bevor die Heiligen Tore versiegelt waren, als nur wenige Menschen über die Erde Scarias wandelten, da sie diese Welt wie so viele andere noch nicht erforscht hatten oder ihnen der Zutritt von den Weisen verwehrt wurde, daß die Elfen einen edlen König hatte. Und sein Name war Irimon. Dieser König Irimon war ein Weggefährte der Kristalldrachen. Im Krieg der Schlangen zwischen den Elememtarwesen, den Drachen und den finsteren Scharen der Dämonengöttin der Kalfareab begab es sich, daß in der entscheidenden Schlacht, in der viel elfisches Blut vergossen worden war, Irimon auf den fürchterlichen Paan traf. Seine wahre Gestalt wurde uns nicht überliefert, doch vermochte sein schreckliches Antlitz ganze Landstriche zu entvölkern. Seine Macht galt als unüberwindbar. Irimon stellte sich ihm im Kampf und besiegte ihn. Paans Kraft war verborgen in zwei Hörnern aus Elfenbein, die seiner Stirn entsprangen. Irimon brach diese und Paan verendete. Als Zeichen dieses Sieges aber behielt Irimon diese beiden Hörner.

Irimons Tochter hieß Fahraseth, und sie war von großem Geschick im Erschaffen von Musikinstrumenten. Sie erbte die beiden Hörner der Macht und zum Andenken an den Triumph ihres Vaters über Paan schnitzte sie zwei wundervolle Zwillingsflöten, die Schwestern Paan-Thel-Mar und Paan-Kelta-Mar. Im Gedenken an die großen Taten Irimons wurde diesen Flöten von den Engeln eine mächtige Magie verliehen als Zeichen der Freundschaft zwischen dem Elfengeschlecht und den Drachen, den Kindern der Engel. In jener Zeit entstanden jene Lieder der Magie auf den Zauberflöten, die fortan den nachfolgenden Geschlechtern der Elfen unvergesslich wurden. Mit diesen unvergleichlichen Melodien wurde mancher großer Zauber zum Wohle der Elfen gewirkt Zu den Klängen Paan-Thel-Mars wurde Sara-sath die grüne Seele des Elfenwaldes Bun-Shromandal erbaut. Aber die Magie der Flöten trat auch in Erscheinung, wenn es galt, die Feinde der Elfen zu zerschlagen. Paan-Kelta-Mars Spiel erklang, als in der Drachenschlacht zu Muridriel der Erzdämon Rhavid zu Staub zerfiel. Viel Legenden von der weisen und zerstörerischen Kraft der zwei Flöten werden erzählt. Manche mögen erfunden sein, doch viele haben sich tatsächlich so zugetragen. Aber das Schiksal sollte die Zwillingsflöten trennen.

Fahraseths Söhne hießen Gibrad und Gebrid. Und jeder von ihnen erlernte das Spiel der Flöten mit einer bislang nicht erlebten Perfektion. Die Brüder besaßen zu der ihnen eigenen Tapferkeit und Kraft die unzerbrechliche Magie der zwei Flöten. Aber das Vertrauen auf die Macht sollte sie täuschen. Ihre scheinbare Unbezwingbarkeit öffnete dem Leichtsinn eine zuvor verschlossene Tür. Heute weiß man nicht mehr, ob es Übermut war oder eine Laune oder gar Beweggründe oder Zwänge, die besser im Verborgenen liegen sollten. Man weiß weiterhin nicht, ob es damals ein weiser Entschluß Irimons gewesen war, die zwei Hörner der bösen Kreatur Paan der Nachwelt zu erhalten. Aber fortan beginnt sich die Geschichte der Zwillingsflöten mit Trauer zu paaren. Mit dem Gefühl der Unbezwingbarkeit entschlossen sich Gibrad und Gebrid, sich dem Erzfeind der Elfen, dem äonenhaften Leviathan entgegenzustellen. Es gibt keine genauen Aufzeichnungen Von diesem Kampf. Aber die Legende besagt, daß die zwei Brüder mit 66 stolzen Elfenschiffen in See stachen. Doch nur ein einziger Elf sollte zurückkehren. Angelockt von einem zauberhaften Flötenspiel fanden Tempelritter Gibrad Generationen später auf einer verlassenen Insel. Es heißt, der Kampf zwischen Gibrad, Gebrid, ihren getreuen Elfen und dem Leviathan sei von bislang nicht gekannter Schrecklichkeit gewesen. Die Brüder auf ihren Flöten spielend hatten das bösartige Wesen fast bezwungen, als es Gebrid mitsamt Paan-Kelta-Mar verschlang. Der Leviathan spie die Flöte wieder aus. Doch Gebrid sollte niemehr das Licht der Roten Sonne erblicken. Mit dem Elfenfürsten in seinem Leib verschwand der Leviathan in den Tiefen der Meere und wurde fortan nicht mehr gesehen. Gibrads Seele war wegen der Trauer fortan umnachtet. Kein einziges Wort kam bis zu seinem Tod über seine Lippen. Man sah ihn nur noch auf der Flöte Paan-Thel-Mar spielend. Die Melodien waren zauberhaft und süß aber zugleich von unendlicher Traurigkeit über den Verlust seines Bruders. Hätten die Barden Baals nicht Aufzeichnungen von den Liedern Paan-Thel-Mars angefertigt, so wären diese Lieder der Magie sicherlich den nachfolgenden Generationen verloren gegangen. Denn Gibrad selbst ließ keinen Elfen auf seiner Flöte spielen, zeigte niemanden die magischen Lieder der Überlieferung. Nach seinem Tod, der ihn früher ereilte, als es die übliche Lebensspanne eines Elfen erwarten ließ, wurde die Flöte Paan-Thel-Mar in Sara-sath im Schrein der Lieder aufbewahrt.

Ihr mögt fragen, was geschah mit Paan-Kelta-Mar, der Zwillingsschwester Paan-Thel-Mars. Wir wissen es nicht. Es heißt, daß der Leviathan die Magie der Elfen und Engel nicht vertrug und das magische Instrument aus diesem Grunde wieder ausspie. Nicht jedoch ohne sein abscheuliches Gift zu hinterlassen. Das ehemals zauberhafte Spiel der Paan-Kelta-Mar war fortan verderbt und erbrachte Mißtöne der Finsternis. Man sagt, daß die Bor-Cued, die Dunkelelfen, sich ihrer bemächtigten. Die Weisen der heutigen Zeit beten, daß ihr Lied um unser aller Seelen Willen nicht mehr erklingen möge. Als die Dunkelelfen verschwanden, verschwand auch Paan-Kelta-Mar. Fast scheint es, als wäre die Trennung der zwei Schwesterflöten von Unheil überschattet wie die Trennung jener zwei Brüder, die sie spielten. Lange Zeit nach Gibrads Tod wagte kein Elf, auf Paan-Thel-Mar zu spielen.

Es mag bezeichnend für diese traurige Geschichte und das Schiksal der Elfen sein, daß ihre Töne in der höchsten Not der Elfen erneut erklingen sollten. Es waren die Menschen, die mittlerweile die Welt Scaraia betreten hatten und das Geschick bestimmten, die jenes Unheil über die Elfen brachten, daß Paan-Thel-Mar eklingen sollte.

Ebron war König von Joniem. Seine Zwillingsschwester trug den Namen Garna. Sie verliebte sich in Ranemor, den König der Waldelfen, der diese Liebe erwiderte. Ebron, der seine Schwester ebenfalls über alles liebte, war überzeugt, daß auf dieser Verbindung kein Segen läge. Aber seine Schwester ließ sich nicht beirren und zog nach Bun-Shromandal zu Ranemor. Ebron wußte daraufhin in seiner Verzweiflung keinen anderen Ausweg, als Ranemor zu töten in der Hoffnung, daß Garna in ihr Heim zurückkehren würde. Er lockte ihn in einen Hinterhalt. Ein beschworener untoter Dunkelelf aß die Seele Ranemors. Im selben Moment, als Garna von Ranemors Untergang erfuhr, stürzte sie sich von dem höchsten Baum Sara-saths in den Tod. Fortan hatte Ebron sämtliches Gefühl verloren außer es trug den Namen "Tod allen Elfen". Sein Haß trieb ihn in unselige Bündnisse und Verträge. Sein einziger Wunsch war die Vernichtung der Waldelfen. Er schickte seine Heere gegen Bun-Shromandal. Aber nie gelang es ihnen, tief in den Elfenwald mit seiner mächtigen Magie einzudringen.

Nun traf Ebron jene verhängnisvolle Entscheidung und trat in ein Bündnis mit den von ihm erweckten Lavadrachen der Lavaberge. Sie verrieten das uralte Bündnis zwischen Elfen und Drachen. Nur sie vermochten den Schutzzauber des Elfenwaldes zu durchbrechen. Sie brachten in jener für die Elfen schrecklichen Nacht Feuer und Lava über den Elfenwald und töteten alle Wesen, die in ihm lebten. Selbst Sara-sath, die grüne Seele des Waldes, der erhabene Baum stand in lodernden Flammen. Inmitten der Schreie der sterbenden Elfen und Bäume war es Anulin, Tochter der Tochter Gibrads, Mutter von Lasath, die in den Schrein der Lieder zog, um Paan-Thel-Mar zu retten. Und es war das erste mal seit Generationen, daß das mächtige Lied der Flöte erklang. Mithilfe der Magie der Flöte beschwor sie für sich und ihr Kind eine schützende Mauer aus gleißendem Licht, welche den vernichtenden Feuerregen der Lavadrachen abprallen ließ. Das Spiel Paan-Thel-Mar lockte den Kristalldrachen Giramesh, der beide aus den brennenden Wäldern trug. Aber die Boshaftigkeit der Lavadrachen folgte ihnen. Es sollte niemand entkommen und Giramesh wurde von dreizehn Lavadrachen verfolgt. Giramesh war dieser Übermacht nicht gewachsen. Anulin wußte um den Ausgang dieses Kampfes. Ihre ganze Sorge galt ihrem Sohn Lasath, der nicht sterben durfte. Sie spielte schreckliche Melodien des Todes auf Paan-Thel-Mar, die zahlreichen Lavadrachen zum Verhängnis wurden. Giramesh selbst tötete fünf der Lavadrachen. Doch er wurde tödlich verwundet. In der Gewißheit des Todes setzte Anulin ihren Sohn an dem Fuß der Miriath-Spitze in den östlichen Ausläufern der Marmorberge ab, damit er entkommen könnte. Ein letztes mal erhob sich Giramesh mit Anulin in die Lüfte. Anulin spielte auf Paan-Thel-Mar ein letztes Lied des Todes. Weiße Kristalle regneten auf die Lavadrachen herab und durchbohrten sie, Blut tropfte aus ihren Ohren, ihre Flügel zersprangen von Kristallen überzogen. Aber als der letzte der Lavadrachen sich anschickte, auf Lasath herabzustürzen, biß sich Giramesh in seine Kehle und ineinander verbissen stürzten beide mitsamt Anulin auf den Gipfel der Miriath-Spitze. Beide Drachen wurden von dem Felsen durchbohrt und im selben Augenblick umhüllt von einem gewaltigen Feuerball.

Hier endet die Geschichte der zwei Schwesterflöten. Seit jenem Tag brennt auf der Spitze des Miriath ein gleißendes weißes Feuer, das von den Seefahrern schon aus großer Entfernung ausgemacht wird. Die See-Elfen nennen die Miriath-Spitze Analkar-Arusath-Giramesch, die Brennende Schwertspitze Girameschs. In diesem Feuer brennt Paan-Thel-Mar. Doch für sterbliche Menschen ist sie unerreichbar. Denn niemand vermag diesen Berg zu erklimmen.

 

 
zurück